Eine grob fahrlässige Unkenntnis des Beratungsfehlers eines Anlageberaters oder der unrichtigen Auskunft eines Anlagevermittlers ergibt sich nicht schon allein daraus, dass es der Anleger unterlassen hat, den ihm überreichten Emissionsprospekt durchzulesen und auf diese Weise die Ratschläge und Auskünfte des Anlageberaters oder -vermittlers auf ihre Richtigkeit hin zu kontrollieren.
Damit, so betont der Frankfurter Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht und BSZ e.V. Vertrauensanwalt Klaus Hünlein unter Hinweis auf das am 6. August 2010 veröffentlichte Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 8. Juli 2010 – III ZR 249/09, hat der BGH ein weiteres Mal eine anlegerfreundliche Entscheidung getroffen und entschieden, dass ein Schadenersatzanspruch eines Anlegers nicht schon deswegen „grob fahrlässig“ verloren gehe, weil er den Anlageprospekt nicht gelesen habe.
Im vorliegenden Fall gab der BGH der Klage eines Anlegers wegen fehlerhafter Anlageberatung statt, der im Jahre 1999 für 150.000 DM Anteile an einem geschlossenen Immobilienfonds, dem „Turmcenter Frankfurt“, erworben hatte. Nachdem der Fonds im Jahre 2005 zunächst in die Zwangsverwaltung und sodann 2006 in die Insolvenz gegangen war, klagte der Anleger rund 103.000 Euro Schadensersatz ein, da der Anlagevermittler seine Pflichten aus dem Anlageberatungsvertrag verletzt habe. Mit der Fondsbeteiligung habe ihm dieser eine Anlage empfohlen, die seinem erklärten Anlageziel einer sicheren Altersvorsorge widersprochen habe. Der Beklagte habe ihn nicht auf die spezifischen Risiken dieser Anlage, insbesondere nicht auf das Risiko eines Totalverlusts, hingewiesen, die gebotene Überprüfung der wirtschaftlichen Plausibilität, Seriosität und Tragfähigkeit des Beteiligungsangebots unterlassen und negative Pressestimmen nicht berücksichtigt. Als Fachmann habe der beklagte Anlagevermittler erkennen müssen, dass das Beteiligungsangebot auf eine Täuschung der neu eintretenden Anleger abgezielt und von vornherein keine Aussicht auf wirtschaftlichen Erfolg gehabt habe.
Der Beklagte war hingegen der Meinung, der Anleger habe hier grob fahrlässig gehandelt, denn dieser habe es unterlassen, den ihm übergebenen Emissionsprospekt auch durchzulesen und damit (von sich aus) auf durchgreifende Hinweise auf die fehlende Eignung der Kapitalanlage für seine Anlageziele zu stoßen. Ferner wurde die Einrede der Verjährung erhoben.
Jedoch ohne Erfolg, wie der BGH entschied, da ein Anlageinteressent regelmäßig auf die Richtigkeit und Ordnungsmäßigkeit der ihm erteilten Anlageberatung vertrauen und ihm eine unterbliebene "Kontrolle" dieser Beratung durch Lektüre des Prospekts deshalb nicht ohne weiteres als grobe Fahrlässigkeit vorgehalten werden dürfe. Zwar komme dem Anlageprospekt in aller Regel eine große Bedeutung für die Information des Anlageinteressenten über die ihm empfohlene Kapitalanlage zu. Sofern der Prospekt geeignet sei, die nötigen Informationen wahrheitsgemäß und verständlich zu vermitteln, und er dem Anleger rechtzeitig vor Vertragsschluss überlassen worden sei, könne die Aushändigung eines Prospekts im Einzelfall ausreichen, um den Beratungs- und Auskunftspflichten Genüge zu tun. Es liege daher zweifellos im besonderen Interesse des Anlegers, diesen Prospekt eingehend durchzulesen.
Andererseits misse der Anleger, der bei seiner Anlageentscheidung die besonderen Erfahrungen und Kenntnisse eines Anlageberaters oder Anlagevermittlers in Anspruch nehme, den Ratschlägen, Auskünften und Mitteilungen des Anlageberaters oder -vermittlers, die dieser ihm in einem persönlichen Gespräch unterbreitet, ein besonderes Gewicht bei. Die Prospektangaben, die notwendig allgemein gehalten seien und deren Detailfülle, angereichert mit volks-, betriebswirtschaftlichen und steuerrechtlichen Fachausdrücken, viele Anleger von einer näheren Lektüre abhalte, treten demgegenüber regelmäßig in den Hintergrund. Vertraue daher der Anleger auf den Rat und die Angaben „seines" Beraters oder Vermittlers und sehe er deshalb davon ab, den ihm übergebenen Anlageprospekt durchzusehen und auszuwerten, so sei darin im Allgemeinen kein in subjektiver und objektiver Hinsicht „grobes Verschulden gegen sich selbst" zu sehen. Unterlasse der Anleger eine „Kontrolle" des Beraters oder Vermittlers durch Lektüre des Anlageprospekts, so weise dies auf das bestehende Vertrauensverhältnis zurück und sei daher für sich allein genommen nicht schlechthin „unverständlich" oder „unentschuldbar", so der BGH.
Eine andere Betrachtungsweise stünde zum einen in einem Wertungswiderspruch zur Rechtsprechung des BGH zur Frage des anspruchsmindernden Mitverschuldens. Zum anderen würde sie den Anleger unangemessen benachteiligen und seinen Schadensersatzanspruch oftmals leer laufen lassen. Denn die Risiken und Nachteile einer Kapitalanlage wirkten sich vielfach erst einige Jahre nach dem Erwerb finanziell spürbar aus (Reduzierung oder gar Wegfall von Ausschüttungen etc.). Fiele dem Anleger bereits die unterbliebene Lektüre des Anlageprospekts als grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB zur Last, so wäre sein Schadensersatzanspruch häufig schon verjährt, bevor sich die Risiken oder Nachteile der Kapitalanlage für ihn „bemerkbar" machten und er sich daher veranlasst sehe, die Richtigkeit der ihm von einem Anlageberater oder -vermittler gegebenen Empfehlungen und Auskünfte zu hinterfragen.
Anlegern als auch Beratern wird empfohlen, das Urteil zu beachten und in derartigen Fällen Rechtsrat insbesondere bei Fachanwälten für Bank- und Kapitalmarktrecht in Anspruch zu nehmen
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Dieser Text gibt den Beitrag vom 21.08.2010 wieder. Eventuelle spätere Veränderungen des Sachverhaltes sind nicht berücksichtigt.