erste Urteile des BGH bzgl. Lehman-Zertifikate:
1.) Jeder Lehman-Anleger war über das allgemeine Insolvenzrisiko aufzuklären!
2.) Bei Eigengeschäft ist nicht über die Gewinnspanne der Bank aufzuklären!
Zunächst können Lehman-Anleger ihren Schadenersatz jeweils aufgrund verschiedener Anspruchsgrundlagen fordern, wie z.B. aufgrund unerlaubten Glücksspiels, Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und sittenwidriger Schädigung sowie aufgrund Deliktshaftung, Prospekt- und Beraterhaftung.
Der BGH hat vorliegend Ansprüche nur aufgrund von Beraterhaftung geprüft. Demnach hat eine Klage i.d.R. bereits Erfolg, wenn ein Berater mindestens eine Pflicht verletzt hat. Ein Berater hat gemäß BGH insb. die Pflicht, über alle Umstände bzw. Risiken aufzuklären, welche für die Kaufentscheidung wesentlich sein können. Bei sehr wesentlichen Umständen liegt eine Pflichtverletzung jeweils schon darin, dass eine solche Geldanlage nicht hätte empfohlen werden dürfen.
Je mehr also möglichst wesentliche Umstände einer Geldanlage vorliegen, desto höher die Erfolgschancen. Bei allen Lehman-Zertifikaten gab es ca. 10 sehr wesentliche und ca. 40 weniger wesentliche Umstände, die insb. aufgrund des Emissionsprospekts erkennbar waren (z.B. hohe Verschuldung). Bei Beratungen nach Juli 2007 kommen insb. aufgrund von Presseartikeln (z.B. "Lehman nächster Insolvenzkandidat") noch bis zu ca. 50 wesentliche Umstände hinzu, deren Anzahl und Bedeutung bis zur Lehman-Pleite immer weiter zunahm. Da demnach also insg. ca. 50 - 100 wesentliche und somit aufklärungspflichtige Umstände vorliegen, wobei bereits 1 Umstand i.d.R. für den Klageerfolg ausreicht, sind die Erfolgschancen für alle Lehman-Anleger noch immer objektiv sehr hoch.
Allerdings müssen diese Umstände auch vom Anlegeranwalt aufwändig ermittelt und im Prozess vorgetragen werden, damit das Gericht sie berücksichtigen kann.
In den vorliegend vom BGH beurteilten 2 Verfahren wurden vom Anlegeranwalt jedoch nur 2 wesentliche Umstände vorgetragen:
1.) das allgemeine Insolvenzrisiko und
2.) die Gewinnspanne der Beklagten.
1.) allgemeines Insolvenzrisiko
Bzgl. des allgemeinen Insolvenzrisikos hat der BGH für alle Lehman-Anleger eine Aufklärungspflicht bejaht, die in den vorliegenden Einzelfällen jedoch mündlich erfüllt worden sei. Da aber die meisten anderen Lehman-Anleger nicht über das allgemeine Insolvenzrisiko aufgeklärt wurden, ist deren Klageerfolg nun so gut wie sicher. Eine zusätzliche Aufklärungspflicht bzgl. der fehlenden Einlagensicherung verneint der BGH zurecht. Auch eine zusätzliche Aufklärungspflicht bzgl. des konkreten Insolvenzrisikos musste der BGH zurecht verneinen, da der Anlegeranwalt insoweit keine Umstände vorgetragen hatte.
2.) Gewinnspanne
Der BGH ist der Ansicht, dass eine Bank über ihr Eigeninteresse am Vertrieb einer Geldanlage nur beim Kommissionsgeschäft aufklären muss, d.h. wenn die Bank den Kauf nur vermittelt. Bei einem Eigengeschäft hingegen, wenn also die Bank Anlageprodukte aus ihrem Eigentum direkt verkauft, sei ihr Eigen- bzw. Gewinninteresse in Form einer Gewinnspanne "offensichtlich" und somit nicht aufklärungspflichtig. Das gelte nunmehr nicht nur bei Eigengeschäften bzgl. eigener Anlageprodukte der Bank, sondern auch bzgl. Anlageprodukte von fremden Emittenten.
Auch eine Aufklärung darüber, dass es sich um ein Eigengeschäft handelt, sei nicht nötig, da dies "bedeutungslos" sei.
Dabei verkennt der BGH, dass das Gewinninteresse für einen Anleger nur "offensichtlich" sein kann, wenn er den Umstand kennt, dessen Kenntnis für die Offensichtlichkeit nötig ist: nämlich der Umstand des Eigengeschäfts.
Entsprechend war auch insb. das OLG Frankfurt in meinen Lehman-Verfahren bisher immer der Ansicht, dass der Umstand des Eigengeschäfts jedenfalls aufklärungspflichtig sei (z.B. Az.: 17 U 24/11 und 17 U 15/11). Weshalb der BGH diesen wesentlichen Umstand nun für "bedeutungslos" hält, ist bisher weder schlüssig noch nachvollziehbar.
Schlüssig ist diese Ansicht des BGH nur, soweit ein eigenes Anlageprodukt der Bank empfohlen wird und daher der Umstand des Eigengeschäfts z.B. aufgrund der Bezeichnung der Bank als Emittent "offensichtlich" ist. Bei Fremdprodukten, wie z.B. Lehman-Zertifikaten, kann der Anleger hingegen nicht ohne weiteres erkennen, ob ein Eigengeschäft oder ein Kommissionsgeschäft vorliegt. Das ist der entscheidende Unterschied, der eine Gleichbehandlung dieser Formen des Eigengeschäfts verbietet.
Wenn man zudem bedenkt, dass der massenhafte Vertrieb der hochriskanten Lehman-Zertifikate i.d.R. nur durch erfolgreiche Vortäuschung einer Beratung im alleinigen Anlegerinteresse möglich war, kann für einen Anleger erst recht nicht ohne weiteres "offensichtlich" sein, dass insoweit eine Täuschung vorliegt und die Bank tatsächlich auch im Eigeninteresse handelt.
Falls der Anlegeranwalt die vorgenannten Argumente vorgetragen hat und der BGH sie im Urteil nicht berücksichtigt, wäre wohl eine Verfassungsbeschwerde wegen Verletzung des "rechtlichen Gehörs" möglich.
Die vom BGH abgelehnte Aufklärungspflicht bzgl. Gewinnspannen ist nur für Lehman-Opfer der Haspa relevant, da alle anderen Banken ihre Lehman-Zertifikate als Kommissionsgeschäft vertrieben haben. Dennoch versuchen insb. die Targobank und die Commerzbank trotz des eindeutigen Vermerks "Kommissionsgeschäft" auf den Kaufabrechnungen vor Gericht nun ein Eigengeschäft vorzutäuschen, so dass dies jeweils sorgfältig zu bestreiten ist.
Foto: Rechtsanwalt und BSZ e.V. Vertrauensanwalt Dr. Can Ansay
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Dieser Text gibt den Beitrag vom 28.09.2011 wieder. Eventuelle spätere Veränderungen des Sachverhaltes sind nicht berücksichtigt.