Sicherlich sind bei Tönnies einige Dinge schief gelaufen. Für
großes mediales Aufsehen sorgen jetzt die Werkverträge in der Fleischwirtschaft,
die hochdotierte Lobby-Tätigkeit des ehemaligen SPD-Bundesvorsitzenden Sigmar
Gabriel für Tönnies und Karl Lauterbachs Forderung, die Fleischfabrik komplett
zu schließen. Die Leid tragenden sind die Bauern, bei denen sich die Schweine „stapeln“
und bald auch die Verbraucher wenn das Fleisch knapp wird.
Wenn das Thema „durch ist“, werden die Politiker
sicher eine andere Sau durchs Dorf treiben, ist sich Horst Roosen, Vorstand des
UTR |Umwelt|Technik|Recht| e.V. ziemlich sicher.
Lesen Sie hier bei UTR e. V. den Beitrag von Holger Douglas.
DIE STAATLICHE HAND LANGT SYSTEMISCH DANEBEN. Fleischwirtschaft in Nöten!
Es ist ein eng getaktetes
just-in-time-System, das die Versorgung des Landes mit Lebensmitteln
sicherstellt. Entsprechend empfindlich zeigt es sich gegenüber Störungen.
Der Donnerschlag der Handelsketten
Lidl und Kaufland kam vergangene Woche: Sie nehmen kein Fleisch mehr von
Unternehmen an, die mit Werkverträgen arbeiten. Ab 1. Januar kommenden Jahres
sollen ihre Lieferanten für Frischfleisch und Geflügel aus Geschäftsbeziehungen
auf Basis von Werkverträgen verzichten. Damit erhofft sich die Schwarz-Gruppe
in Neckarsulm, von negativen Schlagzeilen verschont zu bleiben. Tönnies und
Westfleisch erklärten, auf Werkverträge zu verzichten und sich auch um besseren
Wohnraum für die Belegschaft zu kümmern.
Werkverträge sind zwar eine
gesetzlich vorgesehene Form der Verträge, Arbeitnehmerfreizügigkeit in Europa
ist von der EU gewollt – doch im Augenblick ist das System so in Verruf
geraten, dass es Handelsunternehmen angeraten erschien, demonstrativ das Ende
dieser Form zu verkünden. Wie das konkret aussehen soll, sagt im Augenblick
keiner der Beteiligten.
Immer noch zwangsweise geschlossen
ist der Tönnies-Schlachthof in Rheda-Wiedenbrück. Der wurde vor zwei Wochen
zugemacht, weil sich bei rund 1.500 von knapp 7.000 Mitarbeitern positive
Coronatests zeigten. Pro Woche wurden dort bisher 140.000 Schweine
geschlachtet.
Prekär wird die Lage bei den Schweinemästern.
Sie müssen in den Ställen ihre
Schweine weiter füttern, die werden fetter und der Schweinefleisch-Kilopreis
sinkt. Heinrich Dierkes, der Vorsitzende der Interessensgemeinschaft der
Schweinehalter Deutschlands e.V. (ISN), wettert: »Das ist ein Unding!« und
fährt fort: »Natürlich muss alles dafür getan werden, um Mitarbeiter und
Bevölkerung vor weiteren Corona-Infektionen zu schützen – das bezweifelt
niemand. Dass die Schweinehalter nach immerhin zwei Wochen immer noch nicht
ansatzweise wissen, wie es weiter geht, ist ein unhaltbarer Zustand.«
»Macht eure Hausaufgaben!« fordert
ISN-Geschäftsführer Dr. Torsten Staack. »Dabei ist die Systemrelevanz sowohl
von Tönnies als auch der Politik klar herausgestellt worden. Es gibt viele, die
unter der Infektionswelle und den daraus resultierenden Folgen zu leiden haben.
Das gilt ganz besonders und mit jedem Tag der Schließung des Schlachtbetriebes
auch für die Bauern. Die Systemrelevanz zeigt sich an dieser Stelle für alle
deutschen Schweinehalter, denn an dem Standort werden im Normalbetrieb immerhin
12 – 14 Prozent der deutschen Schweine geschlachtet.«
Es ist ein eng getaktetes just-in-time-System, das die Versorgung des
Landes mit Lebensmitteln sicherstellt. Entsprechend empfindlich zeigt es sich
gegenüber Störungen.
Staack: »Die Tierhalter sind die
Leidtragenden der Schlachthofschließung. Und weder Landesregierung,
Bezirksregierung, Landkreis und auch das Unternehmen Tönnies sagen, wie das
weitere Vorgehen und der Zeitplan hinsichtlich der Wiederaufnahme des
Schlachtbetriebes aussieht.«
Dierkes ergänzt: »Mit gegenseitigen
Schuldzuweisungen und Verweis auf ausstehende Hausaufgaben des jeweiligen
anderen kommen wir kein Stück weiter. Es kann in jedem Fall nicht sein, dass
politische Muskelspiele, persönliche Befindlichkeiten und das Begleichen
offener Rechnungen das dringend notwendige Handeln blockieren. Damit lässt man
uns Bauern einfach im Regen stehen.«
Doch wann der Betrieb von Tönnies in
Rheda wieder aufgenommen wird, ist offen. NRW-Ministerpräsident Laschet wagte
nicht, den Betrieb wieder öffnen zu lassen und hat die Schließung gerade um
eine Woche verlängert.
Der Schlachtbetrieb der dänischen
Fleischgruppe Danish Crown in Essen meldete keine positiven Fälle von
Corona-Gesteten. Ursprünglich hatten erste Tests positive Ergebnisse bei vier
Mitarbeitern ergeben. Doch die gehörten offenbar zu den »falsch positiven«
Ergebnissen, die die Schnelltests häufig genug liefern. Danish Crown hat
deshalb ein eigenes Testprogramm mit einem akkreditierten Labor entwickelt, das
schnell einen endgültigen Nachweis erbringen soll. Die Testergebnisse will
Danish Crown schnell nach China übermitteln und hofft, dass bald wieder Waren
ins Land gelassen werden. Denn vor den chinesischen Grenzen stauen sich
mittlerweile die Kühlcontainer deutscher Schlachtereien. Aufgrund der
Corona-Meldungen werden diese nicht in das Land gelassen.
Die europäischen Exporte stiegen
zuletzt stark an, weil in China die aggressive afrikanische Schweinepest wütet
und Millionen von Schweinen gekeult werden müssen. China ist nicht zuletzt ein
sehr wichtiger Abnehmer deutscher Schweinefleischprodukte. Es werden
überwiegend jene Teile von Schwein und Huhn wie Schweineohren, Innereien und
Hühnerfüße exportiert, die auf dem deutschen Markt nicht sonderlich gefragt
sind. So werden alle Teile der Schweine genutzt, ohne die Exporte müssten noch
mehr Betriebe hierzulande schließen.
Gerät das System der Großbetriebe in
Verruf, so versuchen mittelständische Unternehmen auf ihren Wert hinzuweisen
und betonen ihren regionalen Charakter mit Verweis auf Qualität und kurze
Transportwege. Denn nur 300 von den insgesamt rund 14.000 Metzgereien und
Fleischbetrieben sind Großbetriebe, bei denen Tönnies einsam an der Spitze
liegt. Jene restlichen 13.700 Betriebe beschäftigen jedoch wesentlich mehr
Mitarbeiter, von denen nur ein kleiner Teil auch auf Basis von Werkverträgen
beschäftigt sind. Dies funktioniert jedoch ohne Probleme.
Die kleineren und mittleren Betriebe
haben kaum Zugang zu jenen osteuropäischen Entsendeorganisationen, die nur an
großen Geschäften mit Hunderten von vermittelten Arbeitskräften interessiert
sind. Nur die werfen hinreichend Gewinne auch für die Vermittler ab. Sie werben
häufig genug Arbeitslose in osteuropäischen Ländern und versprechen viel Geld,
beste Arbeit und erstklassige Unterkünfte. Hier angekommen müssen die
Arbeitskräfte oft feststellen, dass nur wenig davon stimmt.
Die mittelständischen Betriebe der
Fleischindustrie betonen, dass sie ihre Mitarbeiter fast ausschließlich über
Empfehlung von ihren Mitarbeitern gewinnen. Das sage einiges über das bessere
Betriebsklima gegenüber jenem in den ganz großen. Sie versuchen jetzt in dem
Skandal, ihre Stärken wie Qualität ihrer Produkte und ihre Verankerung in der
Region hervorzuheben.
Angewiesen jedoch ist nahezu die
gesamte Industrie in diesem Zweig auf Arbeitskräfte aus Osteuropa. Sie finden
in Deutschland nicht mehr genügend Arbeitskräfte für diese harte und
anstrengende Arbeit. Attraktiv für jene wiederum sind die relativ hohen Löhne
vor allem im Vergleich zu ihren Heimatländern. Um den Ruf aufzupäppeln, soll
jetzt der Stall der Zukunft entwickelt werden. Doch der dürfte kaum mehr in
Deutschland, sondern in China entstehen. Dort werden bereits 10- bis
13-stöckige Gebäudekomplexe als Stallanlagen errichtet.
In Guangxi investierte das
Agrarunternehmen Guangxi Yangxiang Co Ltd viel Geld in mehrstöckige
Sauenbetriebe. Auf jedem Stockwerk befindet sich ein Schweinestall. Das spart
Energie, Flächen und damit Kosten. Eines der größten Probleme der
Schweinehaltung, die Übertragung von Erregern, soll mit einem komplizierten
Lüftungssystem verhindert werden, das die Luft in jeder Etage über Filter seitlich
ansaugt und durch einen hohen Schornstein nach außen abführt. Auch das Personal
darf sich nicht in unterschiedlichen Etagen bewegen.
PETA prangert zwar diese
»Tierquälerei« in »ganz anderen Dimensionen« an. Zu vermuten steht, dass ihnen
der Mut zu Protesten vor Ort fehlt. Mit heimlichen Aufnahmen aus diesen Ställen
dürfen wir eher nicht rechnen.
Ein Schweinehochhaus gabs auch schon
mal in Deutschland. Das ehemalige Prestigeobjekt der einstigen DDR-Funktionäre
wurde 1970 bei Maasdorf in Sachsen-Anhalt gebaut und sollte auf sechs Etagen
Sauen halten. Plattenbauten – für Schweine.
Eine merkwürdige, aber auch gefährliche Situation:
Niemand weiß im Augenblick, wohin
die Reise geht. Ein Blick in die USA zeigt das bedrohliche Potential: In
einigen Restaurantketten gibt es oft keine Hamburger mehr. Sechs Millionen
Schweine wurden bereits gekeult, weil aufgrund der Corona-Krise einige der
größten Schlacht- und Zerlegebetriebe schließen mussten. Die Landwirte konnten
ihre Tiere nicht abliefern und hatten keine anderen Möglichkeiten, als sie zu
töten. Niemand nahm sie ab, die Preise sind um die Hälfte gesunken.
US-Präsident Donald Trump stufte in
einer Verordnung die Schlachtereien zur »kritischen Infrastruktur« hoch, die
weiter betrieben werden müsse. Gleichzeitig forderte er das Justizministerium
zu einer Überprüfung der Fleischindustrie auf, ob die gegen das Kartellrecht
verstoßen habe. Denn die Preise der Tiere seien drastisch gesunken, während die
Preise im Handel stark gestiegen seien. Hamsterkäufe führten bereits zu
Engpässen, vor allem beim Rindfleisch. Die Kunden stünden vor leeren
Kühltruhen, wie das Wall Street Journal berichtete.
Wie schrecklich schief es gehen kann
und wie gefährlich Spielereien mit der Lebensmittelversorgung werden können,
wenn staatliche Institutionen planen und anordnen, zeigt jener Schweinemord vor
rund 100 Jahren.
Die damalige Führung des Deutschen
Kaiserreiches wollte zu Beginn des Ersten Weltkrieges wissen, wieviel Nahrungs-
und Futtermittel noch im Reich verfügbar waren. Sie glaubte an einen schnellen
Sieg, wichtig war die Mobilmachung, unwichtig Reserven an Lebensmitteln. Aus
dem schnellen Sieg wurde nichts, die Alliierten blockierten die Importe von
Lebensmitteln über See, vor allem den wichtigen Salpeter aus Chile, der sowohl
für die Produktion von Munition als auch von Dünger notwendig war.
Das Kaiserlich Statistische Amt
ermittelte mit einer Umfrage unter Bauern, dass im Deutschen Reich viel zu
wenig Futtermittel für den gesamten Viehbestand vorhanden seien. 25 Millionen
Schweine seien zu viel, für sie sei zu wenig Futter vorhanden, deswegen sollten
fünf Millionen Schweine zusätzlich geschlachtet werden, so empfahlen die
Professoren für Ernährung. Die ahnungsvollen Bauern allerdings hatten
vorsichtshalber zu wenig angegeben, um keine Beschlagnahmeaktionen zu
riskieren.
Dieser Ratschlag der Professoren
erwies sich als eine der schrecklichsten Fehlentscheidungen mit fürchterlichen
Folgen. Die fünf Millionen Schweine wurden geschlachtet, im März 1915
überschwemmten die erheblichen Fleischmengen den Markt, die Preise sanken
drastisch, um anschließend steil anzusteigen.
Das Fleisch sollte zum Teil
konserviert werden. Doch das Blech für die Konservendosen war katastrophal,
weil das Militär fast alle Metalle für Waffen und Munition beschlagnahmte. Die
Konserven waren bereits im Herbst verdorben und lösten in Verbindung mit einer
Missernte durch zu viel Regen und Kartoffelfäule Lebensmittelknappheit und eine
katastrophale Nahrungsmittelknappheit aus. Rund 800.000 Menschen verhungerten.
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