Covid-19-Patienten sind die Betroffenen eines handfesten
Skandals um zwei Studien zu den Malariamitteln Hydroxychloroquin und Chloroquin.
Das Unternehmen welches alle Daten für die beiden Covid-19-Studien geliefert
hatte, kann die Originalunterlagen von über 96 000 Patienten nicht vorlegen. Es
stellt sich die Frage ob es diese Daten überhaupt gibt.
Auch bei Studien gilt, nicht immer entspricht der Inhalt was
die Überschrift suggeriert, warnt Horst Roosen, Vorstand des UTR
|Umwelt|Technik|Recht| e.V.
Lesen Sie hier bei dem UTR e.V. den Beitrag von Holger Douglas
DUBIOSE FIRMA SURGISPHERE | Wissenschaftsskandal ersten Ranges: Die
manipulierten Hydroxychloroquin-Studien
In Frankreich rollt eine Klagelawine
auf die Regierung zu von tausenden Medizinern und Angehörigen von Verstorbenen.
Bei der Tragweite des Skandals dürfte auch der milliardenschwere Pharmasektor
unter Beschuss geraten, dem offenbar das preiswerte Malariamittel das Geschäft
mit einem möglichen neuen Impfstoff zu verhageln drohte.
Ein Medikament sorgte in der Corona-Pandemie für Aufsehen:
Hydroxychloroquin.
Kein Impfstoff, sondern ein
Medikament, das vor allem seit 70 Jahren aus der Malariabehandlung gut in
seinen Wirkungen und Nebenwirkungen bekannt ist. Und: Es ist preiswert und
bietet damit keine beeindruckenden Gewinnmöglichkeiten für den mächtigen
Pharmasektor.
Eine gängige Methode in der Medizin
bei neuen Erkrankungen ist der Blick in die Apotheke. Welche Mittel sind
bereits vorhanden, auch in ihren Nebenwirkungen bekannt und könnten wirken. So
konnte in Zellkulturen auch eine Wirkung von Hydroxychloroquin gegen
SARS-CoV-2-Viren gezeigt werden. Von Ärzten in China wird berichtet, dass sie
auf das Mittel zurückgreifen.
In die Nachrichten schaffte es die
Substanz, weil US-Präsident Donald Trump nach Empfehlung seiner Experten dies
Mittel anpries und sich – wie könnte es anders sein – heftige Kritik
einhandelte. Auch Elon Musk übrigens hob das Mittel hervor.
In Marseille entwickelte der
Virologe Professor Didier Raoult vom Institut Hospitalo-Universitaire (IHU)
Méditerranée Infection eine Behandlungsmethode mit einer Kombination von
Hydroxychloroquin und Azithromycin, einem Antibiotikum, das auch gegen
Infektionen der unteren und oberen Atemwege wirkt. Für ihn entscheidend: ein
frühes Behandlungsstadium und nicht zu hohe Dosen der Medikamente. Eine erste
Studie von ihm lieferte überzeugende Ergebnisse, Raoults Name ging um die Welt,
in Frankreich erreichte er so etwas wie Kultstatus, wozu ihm vermutlich auch
sein Äußeres verhalf.
Der deutsche Virologe Prof.
Christian Drosten kritisierte rasch, die Studie Raoults lasse keine
Rückschlüsse auf die tatsächliche Wirksamkeit zu; Hydroxychloroquin sei kein
»Hoffungsträger«.
Das Mittel geriet langsam ins Zwielicht.
Die renommierte Fachzeitschrift
Lancet veröffentlichte die entscheidende Studie, die dem Mittel den »Todesstoß«
versetzte, wie später der brasilianische Wissenschaftler Marcos Nogueira
Erbelin einschätzte. Deren Ergebnis: Hydroxychloroquin könne sogar die
Todesrate bei COVID-19 Patienten erhöhen. Auch deutsche Fachzeitungen wie die
Deutsche Apothekerzeitung (DAZ) berichtete über die »Entzauberung der
Malariamittel«.
Diese Veröffentlichung hatte Folgen.
Die Weltgesundheitsorganisation WHO in Genf stoppte ihre Forschungsreihe mit
mehr als 3.500 Patienten in 35 Ländern. Mit der sollte untersucht werden,
welche bekannten Medikamente möglicherweise gegen COVID-19 wirken könnten. Das
Bundesgesundheitsministerium gab gespendete Chloroquin Tabletten »aufgrund
aktueller Erkenntnisse« an die Firma Bayer zurück.
Besonders extrem handelte in
Frankreich Gesundheitsminister Olivier Veran. Er verbot per Erlass die
Behandlung von COVID-19 Erkrankten mit dem Malariamittel.
Doch trotz des Verbotes aus Paris
berief sich der mutige Professor Didier Raoult in Marseille auf seine
ärztlichen Pflichten und behandelte Patienten mit seiner Methode weiter und
erzielt damit eindrucksvolle Erfolge.
Professor Didier Raoult veröffentlichte seine Ergebnisse:
»Durch die Untersuchung von 101.522
Proben mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR) von 65.993 Personen
diagnostizierten wir 6.836 Patienten (10,4%), darunter 3.737 aus unserer
Kohorte. Das Durchschnittsalter betrug 45 Jahre, 45% waren männlich, und die
Sterblichkeitsrate betrug 0,9%. Wir führten 2.065
Niedrigdosis-Computertomographien durch, die bei 581 der 933 (62%) Patienten
mit minimalen klinischen Symptomen Lungenläsionen aufzeigten. Es wurde eine
Diskrepanz zwischen spontaner Dyspnoe, Hypoxämie und Lungenläsionen beobachtet.
Klinische Faktoren (Alter,
Komorbiditäten, NEWS-2-Score), biologische Faktoren (Lymphopenie, Eosinopenie,
Abnahme des Zinkgehalts im Blut und Zunahme von D-Dimeren, Laktatdehydrogenase
(LDH), Kreatininphosphokinase (CPK) und c-reaktivem Protein (CRP)) sowie
mittelschwere und schwere Läsionen, die in niedrig dosierten CT-Scans
festgestellt wurden, waren mit einem schlechten klinischen Ergebnis assoziiert.
Die Behandlung mit HCQ-AZ war mit einem verringerten Risiko der Verlegung auf
die Intensivstation oder des Todes (HR 0,19 0,12-0,29), einem verringerten
Risiko eines Krankenhausaufenthalts =10 Tage (Odds Ratios 95% CI 0,37
0,26-0,51) und einer kürzeren Dauer der Virusabgabe (Zeit bis zur negativen
PCR: HR 1,27 1,16-1,39) assoziiert.
Bei 25 Patienten (0,67%) wurde eine
QTc-Verlängerung (>60 ms) beobachtet, die in 3 Fällen zum Abbruch der
Behandlung führte. Es wurden keine Fälle von abnorm beschleunigtem Puls oder
plötzlichem Tod beobachtet.«
Genau einen plötzlichen Tod aufgrund
von Herzarrhythmien hatte die im Lancet veröffentlichte Studie behauptet.
Didier Raoults Schlussfolgerung:
»Frühzeitige Diagnose, frühe
Isolierung und frühe Behandlung mit mindestens 3 Tagen HCQ-AZ führen bei
Patienten mit COVID-19 zu einem signifikant besseren klinischen Ergebnis und
einer besseren Ansteckungsfähigkeit als andere Behandlungen. Die nächste
Herausforderung bei der Behandlung von COVID-19 wird die langfristige
Nachbeobachtung des Fibrose-Screenings sein.«
Ein Beispiel für die weltweiten
Verwerfungen, die die Lancet-Veröffentlichung auslöste, zeigte sich in Marokko.
Dort geriet die marokkanische Gesundheitspolitik in Bedrängnis. Bereits recht
früh, am 20. März, hatte das Land offiziell eine Behandlung von COVID-19
Erkrankten nach den Vorgaben des Professors Raoult eingeführt und damit sehr
gute Behandlungserfolge erzielt.
Doch dort sah man recht klar die
Fehler der Studie. So gab Prof. Jaafar Heikel, ein marokkanischer Epidemiologe
und Spezialist für Infektionskrankheiten, auf eine Anfrage des marokkanischen
Wirtschaftsportals Media24 eine ausführliche Erklärung ab: »Es handelt sich
hier nicht um eine klinische Studie, sondern um eine Analyse von Datenregistern
aus verschiedenen Krankenhäusern und Ländern!«
Ihm kam auch die Finanzierung dieser
Studie verdächtig vor, und er kritisierte die Autoren, »deren Hauptautor
zugibt, von Laboratorien oder anderen Unternehmen bezahlt zu werden oder Gelder
oder Vergütungen zu erhalten.«
Heikel verwies auf seine Ergebnisse:
»Ehrlich gesagt kann ich nur aus meiner Erfahrung mit 3.200 Patienten in der
Region Casablanca in Koordination mit dem regionalen Gesundheitsamt von Casa
Settat sprechen. Wir haben 94,3 Prozent geheilt, 5,7 Prozent schwere Fälle, 2,8
Prozent davon waren tödlich. Auf der anderen Seite 0,8 Prozent der schweren und
12 Prozent der leichten Nebenwirkungen.«
»Dies sind die Fakten, obwohl unsere
Patienten offensichtlich im Durchschnitt jünger sind (45 Jahre alt) und wir
jeden positiven Fall, der erkannt wurde, auch behandeln.«
Er beobachte weiterhin genau die
Entwicklung und werde Anpassungen vornehmen, sollte sich herausstellen, dass
diese Behandlungsmethode nachteilig sei. Eine schwierige Situation für die
Medizin, die in einer sehr unübersichtlichen Situation entscheiden müsse: »Wir
müssen Polemiken vermeiden und nach Fakten urteilen und korrigieren, wenn wir
uns geirrt haben, aber im Moment ist das nicht der Fall. Marokko hat bisher in
Bezug auf Politik, Kontrollmaßnahmen und therapeutische Strategie gut
abgeschnitten. Wir können die Aspekte über die Ausweitung der Quarantäne
diskutieren, wenn Sie wollen, aber was das Patientenmanagement betrifft, so
müssen wir anerkennen, dass wir die Dinge im Lichte des Wissens, das wir haben,
gut gemacht haben.«
Jetzt stellt es sich heraus: Die Studie ist falsch.
Am Donnerstag zogen die Autoren die
Studie zurück. Auf der Seite des Fachzeitschrift Lancet prangt jetzt über dem
Artikel fett rot: RETRACTED.
Ein Wissenschaftsskandal ersten Ranges mit tödlichen Folgen für die
betroffenen Patienten.
Die Daten lieferte eine Firma
Surgisphere aus Chicago. Die gab an, Daten über die Behandlungs- und
Gesundheitsergebnisse von 96.032 Patienten aus 671 Krankenhäusern auf allen
Kontinenten auswerten zu können. Reichlich viel Daten, von denen das
Unternehmen nicht erklären konnte, wie sie zustande gekommen sind. Auch
benannte sie nicht die Krankenhäuser, von denen die Daten stammen sollten.
Dies rief neben anderen den
australischen Statistiker und Datenwissenschaftler Peter Ellis auf den Plan,
der sich das merkwürdige Unternehmen einmal genauer ansah: »Ich bin bei weitem
nicht der Erste, der nach mehr Informationen über diese erstaunliche neue
Datenbank fragt, von der noch niemand etwas gehört hat, und sie hatten eine
Woche Zeit, es zu erklären. Das haben sie sich ausgedacht.«
Man sollte erwarten, meinte Ellis
süffisant, dass ein Unternehmen, das im Bereich der Gesundheitsdaten weltweit
tätig ist und Software mit sicherheitskritischen elektronischen
Patientendatensystemen in 671 Krankenhäusern unterstützt, mindestens Manager
und Koordinatoren dieses globalen Netzwerkes, ein Team für die
Krankenhausbetreuung, Unterstützungspersonal sowie Ausbilder und Entwickler von
Schulungsmaterial und Forscher beschäftigt. Nicht zuletzt sollte sich ein
Rechtsteam mit Datenschutz und Vertragsfragen im Umgang mit über 670
Krankenhäusern befassen.
Ellis fand bei seiner Untersuchung
des Unternehmens niemanden dergleichen. Sein Resultat: »Surgisphere hat keine
dieser Personen, mit Ausnahme von Sapan S. Desai, der gleichzeitig Geschäftsführer
und medizinischer Forscher ist (ein guter Hinweis auf die Größe der Firma).
Seinem LinkedIn-Profil nach zu urteilen besteht sein Team aus drei
Verkaufsleitern und zwei Wissenschaftsredakteuren.«
Ellis nimmt kunstgerecht die
wesentlichen Behauptungen des Unternehmens auseinander und entlarvt die
Auszeichnungen, mit denen Surgisphere hausieren geht, als Übertreibungen. Sein
Resümee: »Es ist schrecklich zu glauben, dass die wahrscheinlichste Erklärung
für das, was wir sehen, einfach darin besteht, dass die Daten gefälscht sind,
in einer möglicherweise kriminellen Verschwörung, und dass der
wissenschaftliche Publikationsprozess unterbrochen ist.«
Francesoir, die Online Ausgabe der
früheren großen französischen Tageszeitung France Soir, veröffentlichte ein
exklusives Interview mit Marcos Erbelin, Professor für Chemie. Er ist Mitglied
der Brasilianischen Akademie der Wissenschaften und hat an der Universität von
Campinas in Chemie promoviert.
Erbelin wunderte sich: »Die Studie
mit 96.000 Patienten, von der noch niemand etwas gehört hat und die in einer
der renommiertesten medizinischen Publikationen veröffentlicht wird.« Er
vertritt eine Gruppe von 300 Wissenschaftlern. Sie beschreiben den Fall in
einem offenen Brief und schilderte den einzigen Zweck der in der Lancet
veröffentlichten Studie, Hydroxychloroquin als Behandlung gegen das Coronavirus
zu diskreditieren.
Zwei Gruppen machten sich an die Arbeit und überprüfen diese Studie.
Eine Gruppe arbeitete in Frankreich,
wo der Gesundheitsminister das Verfahren mit dem Hydroxychloroquin brutal zu
unterdrücken versuchte. Die andere Gruppe sitzt auf der anderen Seite der Erde
in Brasilien. Das Land ist ebenfalls von der Pandemie stark betroffen,
Präsident Jair Bolsonaro entschied sich in Absprache mit seinen Experten für
die Verwendung von Hydroxychloroquin und wird gleich heftig niedergemacht.
»Wir hatten Chemiker, Biologen,
Statistiker, Virologen, die alle versuchten, die Auswirkungen von Covid 19, die
Behandlungen, einschließlich Hydroxychloroquin, und die Eindämmung zu
verstehen.« Geholfen hat der Arbeitsgruppe Erfahrungen mit Infektionen durch
den Zika-Virus und die Arbeit in multidisziplinären Arbeitsgruppen.
Erbelin: »Was Hydroxychloroquin
betrifft, so waren wir alle schockiert über den Widerstand, den es in
Frankreich hervorrief, obwohl dort einer der besten Experten der Welt in
Virologie und Epidemiologie tätig ist. Wir haben uns auch angesehen, was in den
Vereinigten Staaten geschah.« Die politischen Gegner kontrollierten die Medien
(Globo) und wollten Hydroxychloroquin disqualifizieren«, so Erbelin. Die
Wissenschaftler benötigten einige Zeit, um sich mit der Studie zu beschäftigen,
sie zu verstehen und zu dem Ergebnis zu kommen: Diese Studie ist getürkt.
Mit zu besonderer Vorsicht und
Gründlichkeit beigetragen hat, dass diese Studie im renommierten Lancet
erschienen ist, ansonsten eine seriöse und zuverlässige Publikation. Das ließ
die Gruppe an Wissenschaftlern nicht unbeeindruckt. Doch sehr bald erkannte das
Kollektiv nach den Worten von Erbelin den »Versuch, das Hydroxychloroquin
schließlich als duale medikamentöse Therapie zu diskreditieren.«
Erbelin: »Wir analysierten alles,
mit 300 war es ziemlich schnell, wir teilten die Arbeit. Aber alles schien
fragwürdig: die Methodik, die Stichprobenziehung, die verwendeten statistischen
Methoden.« Er und seine Gruppe sind entgeistert: »Das ist keine Wissenschaft,
das ist eine Instrumentalisierung der Wissenschaft. Wir waren alle schockiert,
denn das ist es, was den Ruf der Wissenschaft zerstört.«
In Frankreich sitzen, so Erbelin,
die Gegner der Behandlung mit Hydroxychloroquin in Regierung und elitären
Kreisen: »In Brasilien ist es wirklich anders, es gibt eine direkte Korrelation
zwischen den Gegnern von Hydroxychloroquin und den Gegnern der an der Macht
befindlichen Regierung. Über den politischen Teil hinaus konnten wir diese
Studie auch mit großen pharmazeutischen Labors in Verbindung bringen.«
Der Skandal um die gefälschten Studien schlägt hohe Wellen.
Die WHO hat verkündet, ihre Studie
wieder fortzusetzen. Währenddessen eskaliert die Lage um Surgisphere. Elsevier,
der Eigentümer der Fachzeitschrift Lancet, erklärte mittlerweile gegenüber der
Financial Times, ungefähr 20 Originalartikel zu überprüfen, die Daten von
Surgisphere enthalten. Auf Twitter werden Forderungen laut, Lancet und das New
England Journal sollten sich sofort einer unabhängigen Untersuchung über den
Standard ihrer Redaktions- und internen Überprüfungsverfahren unterziehen.
In Frankreich rollt eine Klagelawine auf die Regierung zu.
Tausende von Medizinern und
Angehörige von Verstorbenen wollen Klagen einreichen. Angesichts der Tragweite
des Skandals dürfte auch der milliardenschwere Pharmasektor unter Beschuss
geraten, dem offenbar das preiswerte Malariamittel das Geschäft mit einem
möglichen neuen Impfstoff zu verhageln drohte. Nicht überschaubar sind die
Verwerfungen, die der Skandal in der französischen Politik hinterlassen wird.
***
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