Den am 27.08.2019 auf
https://automotive-opinion.com von dem Motor Journalist Peter Groschupf
veröffentlichten Nachruf geben wir hier folgend wieder.
Zum Tode Ferdinand
Piëchs: Der harte Hund konnte sehr weich sein
Nirgendwo wird so gelogen wie in Nachrufen, heißt es. Dass
manche der Lobes-Hymnen, die nun über Ferdinand Piëch ausgebreitet werden,
höflicher Pflicht geschuldet sind, mag so sein. Aber alle Nachrufe verbindet
ein gemeinsamer wahrer Kern: Prof. Dr. h.c. Ferdinand Piëch war ein genialer
und visionärer Autokonstrukteur und Manager, der Deutschlands Schlüsselindustrie
weltweit positiv geprägt hat.
So habe ich ganz persönliche Erfahrungen mit dem „Alten“
gemacht, die ihn für mich ganz anders erscheinen lassen, als es in den Medien
oft dargestellt wurde. Piëch war zwar ein genialer Strippenzieher, der nicht
nur technische, sondern auch Personal-Entscheidungen gnadenlos exekutierte,
sondern auch jene förderte, die dieselben Qualitätsansprüche und
Produkt-Visionen hatten wie er. Martin Winterkorn gehörte zu den von ihm
Geförderten ebenso wie Ex-Audi-Chef Rupert Stadler und zahlreiche Namenlose,
die sein Ausscheiden aus dem VW-Kosmos bis heute bedauern.
Als er Entwicklungschef bei Audi war und ich Chefredakteur
der Autozeitung in Köln, habe ich die andere Seite dieses knallharten Managers
kennen gelernt. Es ging um Audi-Testwagen, die angeblich mit schärferen
Nockenwellen ausgerüstet gewesen sein sollen, um bessere Beschleunigungswerte
zu erzielen. Wir bei der Autozeitung konnten die Gerüchte mit eigenen Messungen
widerlegen. Entsprechend haben wir darüber berichtet. In einem langen
persönlichen Brief an mich bedankte sich Piëchfür „diesen fairen Journalismus“.
Ein paar Tage später rief er mich an und sagte: „Wenn Sie jemals mit Fragen an
Audi bei uns im Hause nicht weiterkommen, können Sie mich auf meiner
Geheimnummer jederzeit direkt erreichen.“ Allerdings musste ich davon nie
Gebrauch machen.
Piëchs Schlagfertigkeit konnte manchmal
überraschen
Ein andermal habe ich seine technische Kompetenz und seine
Schlagfertigkeit, die ihm rhetorisch niemand zutraute, erfahren. Bei der
Vorstellung des Audi 80 quattro in Sankt Moritz fragte ihn ein Journalist, ob
vier angetriebene Räder wirklich notwendig und sinnvoll seien. Er antwortete
für mich dermaßen beeindruckend plausibel, dass ich dieses Argument nie
vergessen werde. Er fragte den Journalisten mit seinen typisch leisen,
vergifteten verbalen Pfeilen nur: „Halten Sie Bremsen an allen vier Rädern für
sinnvoll?“ Dem Journalisten verschlug es die Sprache, er antwortete nicht und
sein verkrampftes Lächeln war ein Lächeln mit nichts dahinter als Zähnen.
Irgendwie mag ihm seine Frage auf einmal peinlich gewesen zu sein. Mit Piëchs
Antwort war alles und mehr gesagt. Und der Siegeszug des quattro-Antriebs nahm
seinen Lauf.
Man kann sich vorstellen, wie gefürchtet eine argumentative
Auseinandersetzung mit dem Alten gewesen sein mag. PiëchsAutorität basierte
aber auf einer mehrdimensionalen und enormen Technik-Kompetenz. Niemand konnte
ihm etwas vormachen. Interviews mit ihm gestalteten sich schwierig, weil seine
leise Stimme irgendwie so klang, als wolle er eigentlich gar nichts sagen. Jede
Antwort musste man sich hart erarbeiten. Doch was er so leise formulierte, war
alles andere als harmlos und kostete manchen aus der Führungsriege den Job. Der
Bereichsleiter eines großen bayerischen Herstellers deutete mir schon lange vor
dem offiziellen Ausscheiden Bernd Pischetsrieders als VW-Chef an, dass seine
Tage bei Volkswagen gezählt wären. Piëchhabe ihm beiläufig bei einer VDA-Konferenz
zu Pischetsrieder gesagt: „Der kann´s net“… Einen Rauswurf aus einer
Spitzen-Position kann man wohl nicht kürzer formulieren.
Vier Wochen später war Pischetsrieder Geschichte, obwohl ihm
noch kurz vorher der Vertrag verlängert worden war, der von Seiten Volkswagen
dann allerdings vollständig erfüllt wurde. Auch das ist Piëch in allen
Personalentscheidungen gewesen: finanziell sehr großzügig.
Rolls-Royce ins
Unternehmen zu holen, blieb ein unerfüllter Traum
Pischetsrieder wollte er nicht verzeihen, dass sich BMW die
Luxus-Marke Rolls-Royce aneignen konnte, während für Volkswagen nur Bentley
geblieben ist. PiëchsTraum war es, die britische Luxusmarke mit dem RR-Emblem
und der Flying Lady auf dem Kühler in sein Automobil-Universum zu bekommen. Das
ist einer von wenigen unerfüllten Piëch-Träumen.
Legendär auch sein Satz über den damaligen Porsche-Chef
Wendelin Wiedeking. Auf die Frage eines Journalisten, ob der Porsche-Chef noch
sein Vertrauen habe, verschlüsselte er den anstehenden Rauswurf in dem Satz:
“Das Noch können Sie streichen.”
Auf einer Audi-Veranstaltung bot mir der damalige PR-Chef
Lutz Schilling beim Abendessen an, neben Piëch sitzen zu dürfen. Seine damalige
Frau und jetzige Witwe Ursula Piëch saß neben ihrem Mann und ich wurde Zeuge
eines Gesprächs, wie es normaler nicht sein kann. Piëch wandte sich zu mir und
beklagte, dass seine Frau immer zu schnell auf der Autobahn unterwegs sei und
erst kürzlich wieder in eine Radarfalle geraten war. Seine Frau lachte nur und
wies darauf hin, dass ihr Mann auch schon ein paarmal geblitzt wurde. Das
familiäre Geplänkel erinnerte mich an Diskussionen mit meiner Frau. Das Ehepaar
Piëch eine Familie wie du und ich? Auf jeden Fall endete die
freundlich-neckisch geführte Auseinandersetzung damit, dass Piëch anbot, die
Strafe für seine Frau zu bezahlen, ihren Porsche aber gegen ein langsameres
Auto auszutauschen. Der „Alte“ sagte das so liebevoll, dass man durchaus den
weichen Kern hinter seiner stoischen Mimik erkennen konnte, wenn es um den
familiären Frieden ging. Familie war Piëch enorm wichtig, so lange es nicht den
Porsche-Zweig betraf, mit dem er bis zuletzt gehadert hat.
“Auf Distanz zu
Winterkorn”
Als Piech im Spiegel „auf Distanz“ zu Martin Winterkorn
ging, war auch Winterkorns berufliche Zukunft entschieden. Ich spekuliere jetzt
mal ziemlich gewagt, dass der „Alte“ in seinem Netzwerk sehr früh erfahren hat,
wie in den USA abgasseitig gemogelt wurde oder gar werden sollte. Eine so
überdimensionale Entscheidung, in den USA die Diesel-Abgase zu schönen, kann
dem bestinformierten Piëch nicht entgangen bzw. verheimlicht worden sein. Piëch
hat gegenüber der Staatsanwaltschaft erklärt, tatsächlich von dem Betrug
gewusst zu haben. Allerdings will er davon erfahren haben, als er nicht mehr
eingreifen konnte. Er habe allerdings den Aufsichtsrat gewarnt, was dieser
dementiert. Mit dem Tod Piëchs bleibt dieses Thema im Dunkeln.
Piëch muss sehr früh von dem Betrug gewusst haben.
Wahrscheinlich war dies der Grund, Winterkorn öffentlich das Vertrauen zu
entziehen. Piëch muss veritable Gründe
gehabt haben. Und da reichen unzureichende US-Verkäufe nicht aus. Meine
Überzeugung ist und bleibt es, dass Piëch vom Abgasbetrug schon in der
Planungsphase erfahren haben dürfte und geahnt hat, wie hoch das Risiko für VW
werden würde. Gegenüber der Staatsanwaltschaft sagte er, dass er die
Verantwortlichen gewarnt habe, den Betrug umzusetzen. Piëch sah offensichtlich
das Risiko, das schließlich allein in den USA 23 Milliarden Dollar gekostet und
zwei Managern hohe Gefängnisstrafen in Amerika und Martin Winterkorn eine
Anklage samt internationalem Haftbefehl eingebracht hat.
Weitere Milliarden stehen in Europa im Feuer. Noch immer
prozessiert der in den USA zu sieben Jahren Haft verurteilte Oliver Schmidt
gegen seine fristlose Kündigung und gegen von VW geforderten Schadenersatz. Es
wäre interessant zu erfahren, wie Piëch die „Diesel-Thematik“ zuletzt gesehen
und beurteilt hat. Vielleicht kommt hier noch Überraschendes an die
Öffentlichkeit. Ferdinand Piëch wird noch lange medial in Erscheinung treten.
Quelle: https://automotive-opinion.com
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